Zeitz ist eine Stadt, bei der man sich als Besucher nicht gleich entscheiden kann, was man von ihr hält. Bereits auf dem Weg im Zug fallen große verlassene, aber dennoch herrschaftlich anmutende Gebäude in den Blick. Ist man erst einmal angekommen, ist die Stadt noch kaum zu sehen, eher thront sie weit über einem in der Ferne.
Wenn man zu Zeitz recherchiert, wird eine Zäsur schnell klar: Vor der Wende Industriestadt mit vielen Arbeitsplätzen und Einwohnern, danach Wendeverlierer und schrumpfende Kommune. Dabei begann alles als eine Erfolgsgeschichte. Die Industrialisierung drückte der Stadt Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Stempel auf. Das älteste Unternehmen entstand um 1850 in Form der Stoff- und Kattundruckerei Scheuble & Brehme, welches im Zuge der DDR-Gründung, wie die meisten Betriebe vor Ort, zum Volkeigenen Betrieb (VEB) der Wäschunion wurde und bis 1990 Waren herstellte. Weitere Fabriken entstanden 1855 mit der Zeitzer Eisengießerei und Maschinenfabrik AG (Zemag), welche Kräne und Bagger anfertigte, und 1858 mit der Zuckerfabrik für die Erzeugung von Weißzucker. Es folgten die Eisenbahnanschlüsse an Gera (1859), Altenburg (1872), Leipzig (1873) und Camburg (1879). Neben der Entwicklung weiterer Gießereien entstand 1889 die Brikettfabrik Herrmannschacht, welche man heute noch als älteste erhaltene Brikettfabrik weltweit in Form eines Industriedenkmals besuchen kann. In den Jahren danach entstanden Firmen der Holzwaren- und Kinderwagenindustrie (welche später als VEB Zekiwa umfangreichen Export betrieben), des Klavierbaus (wurden zur Pianounion mit circa 30 Fabriken), der Metallindustrie, Braukunst (Oettler), Lederfabrikation und Lebensmittel- und Süßwarenindustrie (Unternehmen Oehler, später Emmerling und VEB Zetti). Weitere bedeutende Wirtschaft entstand in Form der Zitza Werke (später VEB Zitza), welche Seifen- und Haarprodukte erzeugten, und nordöstlich der Stadt ab 1937 schließlich durch das Hydrierwerk. Hier wurden zunächst Treibstoffe hinsichtlich des 2. Weltkrieges produziert, in der DDR war das Areal dann ein wichtiger Produzent für die petrolchemische Industrie. Nach dem 2. Weltkrieg war die Stadt von 1950 an Kreisstadt des Kreises Zeitz, welcher ab 1952 bis zur Wende dem Bezirk Halle angehörte. Diese Entwicklungen sorgten dafür, dass Zeitz ein Industrieschwerpunkt großer Bedeutung wurde und war. Bis 1990 die Wende kam.
Alles ändert sich
Es begann eine tiefgreifende wirtschaftliche Umstrukturierung. Durch Wende und Währungsunion entstand immense Konkurrenz, es kam zu Produktionsrückgang und Rationalisierung. Viele Fabriken wurden geschlossen. Die Betriebe waren zu klein für politische Vorhaben, aber zu groß zur flexiblen Anpassung. Dazu ging der Status als Kreisstadt an Naumburg. Geblieben sind die Schokoladenfabrik Zetti (gehört inzwischen zur Goldeck GmbH Leipzig und befindet sich auf einem neuen Gelände), die Zuckerfabrik (wurde von Südzucker übernommen) und zunächst die Zemag AG, welche erst 2004 ihre Produktion einstellte. Durch die Umwälzungen kam es zum Verlust vieler Arbeitsplätze und der industriellen Prägung der Stadt. Seit der Wende ging die Bevölkerung in Folge der fehlenden Arbeitsplätze um mehr als ein Viertel zurück. Hauptsächlich, weil die Menschen wegzogen. Die Stadt wurde vergessen, eine ganze Industriearbeitergeneration fühlte sich um ihre Leistung gebracht. Es sind kaum vergleichbare Gebiete zu finden, in denen innerhalb kürzester Zeit derart enorme Struktureinbrüche stattfanden. Besonders ländliche Regionen in Ostdeutschland waren hiervon betroffen.
Nach und nach entsteht inzwischen wieder neue Industrie. Fabriken des Handels liegen allerdings vor allem an peripheren Standorten, was die historische Altstadt in ihrer Funktion als Zentrum noch immer schwächt. Die Bausubstanz des Stadtkerns konnte durch umfangreiche Sanierungsmaßnahmen seit 1990 deutlich aufgewertet und großteilig erhalten werden. Dennoch sieht man den Wandel der Stadt weiterhin an vielen verfallenen Gebäuden, welche sich zum Teil in sanierte Gebiete und Häuserreihen einfügen. Unter anderem in Zeitz-Ost wurde der Bestand an Wohnungen stark zurückgebaut, um der reduzierten Bevölkerung Rechnung zu tragen. Besonders in Gebieten ehemaliger Industrie sind Brachen oder Ruinen zu beobachten.
Die Entwicklungen nach der Wende und die damit verbundenen Auswirkungen strahlen bis heute aus. Dennoch ist in den letzten Jahren viel passiert. Die technische und soziale Infrastruktur wurde angepasst und verbessert. Der Bevölkerungsrückgang konnte noch nicht gestoppt, aber deutlich verlangsamt werden. Zeitz versucht sich als attraktiven Wohnort in der Umgebung einiger Großstädte zu positionieren. Die Stadt wurde bereits während der Weltwirtschaftskrise und zu vielen anderen Zeitpunkten totgesagt. Sie befindet sich immer noch im Wandel. Die Frage ist nur, in welche Richtung. Für mein Projekt habe ich Personen aus unterschiedlichen Bereichen getroffen, die in irgendeiner Weise potenziell auf die Stadt einwirken. Alle Menschen, mit denen ich gesprochen habe, waren trotz durchaus kritischer Grundhaltung sehr optimistisch für die Zukunft von Zeitz. Das Wendeverliererdenken scheint in weiten Teilen endlich überwunden zu sein. Ich wollte die Potenziale und Herausforderungen der Stadt von verschiedenen Seiten beleuchten und habe sehr interessante Einblicke erhalten. Eine Stadt lebt von ihren Menschen, also wohin geht die Reise?